Die Wahl Habend, ein Theaterstück in drei Akten, von Malenka Radi


14. Februar 2020

Die Wahl habend!

Ein Theaterstück in drei Akten. Die drei Akte können auch parallel gespielt werden, als Polydrama.

1. Die Qual

2. Das Normale

3. Der Phantast

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1. Die Qual

Sie sind drei, eine Frau und zwei Männer, die Frau ist zirka 50ig Jahre alt, der Mann 80ig, und der Junge 19, oder fast 20.

Sie sitzen um einen Tisch herum, haben Würfel in der Hand, es ist ein Warteraum, im Irgendwo.
Man weiß nicht wo, man hört nichts, nur einen Uhr ticken.

Sie nimmt die Würfel in die Hand, …
und würfelt. Es soll entschieden werden, wer durch welche Tür geht. Sie müssen sich trennen, sie wissen, daß sich hier ihre Wege trennen werden, und sind traurig, darüber.

Aber sie haben keine Wahl. Nur die Freiheit zu entscheiden, wer durch welche Tür geht.
In der Mitte der Wand eine ganz normale Tür. Daneben ein Höhleneingang, und auf der anderen Seite eine Gittertür, wie zu einem Gefängnis.

Oder wie aus einem Gefängnis heraus, man kann das aber nicht genau erkennen. Sie haben die Qual der Wahl. Sie beginnen vorsichtig ein Gespräch:
„Ja, es tut mir Leid, daß ich Dich in diese Situation gebracht habe, aber Du wirst sehen, wir werden unsere Wege schon finden!“ „Jeder hat die Freiheit sich selbst zu entscheiden, es gibt immer viele Möglichkeiten sein Leben zu leben.“
„Ja, aber ich habe keine Ahnung, ich weiss nicht was geht, und was nicht.“

„Nun gut, wenn Du Dich nicht entscheiden kannst, dann lassen wir die Würfel entscheiden. Der der eine 6 würfelt muss zuerst wählen, dann der nächste, und der letzte, muss nehmen, welche Tür übrig bleibt. So wir das Schicksal seinen Lauf nehmen, es ist nicht gerecht, aber wie sollen wir sonst das Problem lösen?“
„Fragen wir doch einmal das Publikum, vielleicht hat jemand eine Idee?“
Der 80ig jährige man geht zur Bühnenrampe, schaut geblendet ins Publikum, und fragt:
„Durch welche Tür würden Sie gehen? Sollen wir eine Abstimmung probieren, und der der von uns eine 6 würfelt geht durch die Tür, durch die die Meisten hier im Saal gehen würden?“

„Ich finde das einen guten Gedanken, dann haben wir wenigsten das Publikum auf unserer Seite, egal, was passiert, sie müssen zum Gewinner halten, denn das wäre das Leben, welches auch sie gewählt hätten.“

„Das ist aber nicht sehr phantasievoll!“ „Phantasie ist hier vielleicht auch weniger gefragt, als Mut, Überzeugung, Know How und Einfallsreichtum, oder?“

„Also, durch welche Tür würden Sie gehen, bitte Arme hoch, wenn Sie die Normale Tür wählen würden!“
Eine leise Loungemusik wird eingespielt, und es wird gezählt. „Sie haben eine Minute Zeit, sich zu entscheiden!“


10 Minuten später. Er der Vater, er heißt Boris, und kommt aus Bremen musste durch das Gittertor gehen. Das Tor ging automatisch auf, als er davor stand, und schloss sich auch wieder auch wieder automatisch. Er hatte kräftige Stiefel an, und eine guten Anorak, beides brauchte er nun, er musste über einen Schotterweg, er war im Freien, aber um in herum nur Beton, der Himmel dramatisch bewölkt, mit Gewitterwolken, ein heftiger Wind, und die ersten dicken Regentropfen. Er beeilte sich.

Auf der andere Seite standen drei finstere, kräftige Gestalten. „Hey, Du musst hierher!“ „Schnell!“
Er schaute sich um, er hatte keine Wahl, zurück ging nicht, hinter der Gittertür standen auf einmal drei kläffende Schäferhunde.
Rechts und links, keine Türen, keine Wege, nur Beton, sicher 18 Meter hoch. Also, keine Wahl, geradeaus.
„Komm endlich her, wir tuen Dir nichts, Du gehörst ab sofort zu unserer Truppe, mach einfach, was wir Dir sagen!“
„Oh, klasse, dachte Boris bei sich!“

Der erste kam mit schwungvollen Schritt auf ihn zu:
„Ich bin Werner, dass ist Matthias, und der andere heisst Karl, ich bin der Anführer, wie sollen wir Dich nennen? Wie heisst Du? Woher kommst Du?“
„Boris, aus Bremen!“
„Du bist kräftig, daß ist gut!“ „Wir haben einen Einsatz, es geht gleich los.

Ab durch die Mitte, hier entlang.
Er stieß eine Eiserne Tür auf, dahinter ein Gefängnistrakt, mit sicher 1000 Häftlingen, wilder Lärm.
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Ein Jahr später!
Boris hat inzwischen das Einbruchshandwerk gelernt und Freigang. Er soll 3 Jahre noch im Gefängnis absitzen, aber wegen guter Führung kommt er vielleicht schon im nächsten Jahr hinaus. Durch seine Kumpel hat er sich inzwischen ein kleine Vermögen zur Seite legen können, und er hat auch eine Freundin gefunden, die eine kleine hübsche Wohnung hat. Wenn er Freigang hat, holt sie ihn immer vom Gefängnistor ab, sie lieben sich dann 13 Stunden lang, und essen zusammen, wie im Schlemmerland. Sie ist Lehrerin, hat einen Tochter, die ebenfalls Lehramt studiert.
Boris weiß, das es nicht sicher ist, ob sie ihn bei sich wohnen lassen wird, sobald er frei kommt, daher schaut er sich um, aber es ist nicht leicht. Die Mieten sind irre gestiegen. Er hat einen Freund, Alfried, der hilft ihm. Aber es ist fast unmöglich ohne feste Anstellung etwas vernünftiges zu finden.
Vernünftig bedeutet für ihn, eine drei Zimmerwohnung mit Charme, mit Licht und Charisma. Er mag keine Neubauten. Schon gar keine, selbst wenn sie bereits vor 60 ig Jahren gebaut wurden. Er hasst Beton. Er möchte in einem Haus aus Stein wohnen. Stein hat eine gute Atmosphäre. Das ist ihm wichtig.
Auf Wohnungssuche zu sein ist fürchterlich. Er sehnt sich nach München zurück, nach der Stadt, in der er studiert hat. Jetzt, hier in Berlin – Tegel, da erlebt er zwar diese tolle Seenlandschaft von Berlin, aber im Knast, da geht es hart zu. Selbst wenn er gute Kumpels hat, und sich durch sein Thai Chi Training, und seine Kampfkünste viel Respekt hat einbringen lassen, mag er dieses kriminelle Milieu gar nicht. Und die Stehlehrei, und Hehlerei gefällt ihm auch nicht, aber er musste mitmachen, ansonsten hätten sie ihn zu Tode gequält. Jetzt hat er seine Ruhe. Am Liebsten liest er seine Thriller, in der Gefängnisbibliothek gibt es einige sogar in englisch. Die sind wirklich ein guter Zeitvertreib. Hoffentlich ist dieses Kapitel bald vorbei.
Gefängnisluft ist schlecht für die Seele.

Zurück zum Theater. Die Informationen, die hier so im Text zwischen den Zeilen weitergegeben werden, könnten von einer Art Nachrichtensprecherin, oder einem Erzähler vorgetragen werden. Wenn alles auf einer Guckkastenbühne gespielt wird, dann stellen wir uns eine Drehbühne vor.
Zuerst hatten wir einen Art Eisernenvorhang, mit drei Türen. Nachdem der hochging, befinden wir uns im 1. Akt. Dort finden wir unzählige Treppen, Gänge und das innere eines Gefängnisses, oder Labyrinthes, ziemlich abstrakt.
Der 2. Akt, wird erst einmal durch einen Gang mit vielen gleichen Türen dargestellt, und später dann durch einzelne Anstaltsräume, von Speisesaal, bis zu den Lehrräumen, uvm. Das wechselt immer in den Etappen, in denen sich die Bühne dreht, und die Geschichte erzählt wird.
Der 3. Akt, ist dann das 3. Segment der Drehbühne und beginnt mit einem Motiv im Wald, wechselt dann in eine Klinik eingetauscht wird. Alle Bilder dazwischen werden mit Hilfe von Filmsequenzen und Videobildern projiziert.



2. Das Normale

Er entscheidet sich für die ganze normale Tür. Geht durch, die Klinke lässt sich leicht herunterdrücken. Kein Widerstand. Die Tür ist wirklich so wie viele Türen, auf dieser Welt. Nützlich, funktionell und einwandfrei.
Hinter der Tür befindet sich ein langer Gang, mit ebensolchen Türen. An allen Türen stehen Nummer. Es gibtb ein Fluchtwegschild und einen Wegweiser, sowie ein Schild, bitte folgen Sie den Anweisungen.
„Welche Anweisungen, wozu, um seinen Weg zu finden?“
„Genau!“
Goggle Hilfe antwortet. Er schaut auf sein Smartphone, und murmelt vor sich hin. „Ok, 800 Meter gerade aus, dann kommt ein Lift!“

Nun plötzlich, ein Läuten. Alle Türen öffnen sich. Viele Menschen kommen heraus. Aus manchen Türen bis zu 8, manchmal nur einer oder zwei, alle haben die gleichen Anzüge und Kostüme an, nur in drei verschiedenen Farben.
Er schaut sich an, oh, er kommt aus einer anderen Welt, er trägt ein weißes T-Shirt, und eine Jeans, er wird gemustert.
Eine Frau kommt auf ihn zu, etwas verärgert. „Sie sind hier falsch, sie hätten gleich bei der ersten Tür fragen sollen, wo sie Kleidung bekommen, um sich einzufügen und anzupassen. Gehen sie zurück, und überlegen sie in Zukunft was sie tun, bevor sie einen Schritt machen!“
Eine anderer lächelnd: „Das ist das Gute, hier in unserer Welt, sie können fast keinen falschen Schritt machen, immer kommt einer korrigiert einen, aber wenn Sie zu viele Minuspunkte sammeln, kommen sie in den Bunker, dann tragen Sie eine Gelbe Weste, dann sind sie arm dran.“

Er:“Gut, ich werde mich fügen.“ Langsam geht er zurück.

Klopft vorsichtig an der Tür mit der Nummer 1. Eine Stimme ruft herein. „Guten Tag!“ Er schweigt, stellt sich gerade hin, Arme an die Seite, denkt an seine Zeit bei der Armee, an die Musterung.
Eine Frau geht um in herum, mustert ihn. „Sie müssen jetzt dort in die Ecke, zum Fotografieren und Maß nehmen, dann müssen sie sich ausziehen, ein Arzt wird sie untersuchen, später wird entschieden, welche Kleidung sie bekommen. Ach, und diesen Fragebogen müssen Sie ausfüllen. Können Sie mich verstehen? Sprechen Sie unsere Sprache? Wie heißen Sie? Woher kommen Sie?
Er überlegt: „Ich heiße Hans Meier, ich komme aus Göttingen, in Deutschland.“
War das die richtige Antwort, er hofft. Er kann sich nicht mehr genau erinnern, was vorher war, bevor er durch diese Tür trat. Wie eine Gehirnwäsche. Er schaut auf sein Handy, vielleicht weiß das etwas über seine Vergangenheit. „Wie alt sind Sie?“ „19“ „Gut, das passt, Ihr Smartphone müssen Sie hier lassen, ihre Sachen und alles was sie haben kommt ins Archiv unter der Nummer 14768, die müssen Sie sich merken.“ „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Sie sind genau im richtigen Alter, und auch sonst passt alles. Sie haben die richtige Entscheidung getroffen, ab jetzt müssen Sie sich nur noch an alle Gesetze halten.“ „Aber keine Sorge, sie werden täglich darin unterrichtet.“
„Sie bekommen auch einen Kollegen zur Seite, sie werden nie mehr alleine sein.“
Er findet sich wieder in einer weißen Kabine, er wird von allen Seiten fotgrafiert, abgemessen und dann kommt der Arzt:
„Nun, zeigen Sie mir mal Ihre Zunge. Haben Sie Krankheiten? Sind Sie schon einmal operiert worden?“
„Nein!“
„Nun gut, daß werden wir sehen.“
„Ziehen sie jetzt diese Unterwäsche an, und legen sie sich bitte auf diese Bank.“
… und so geht es weiter, er wird gründlich, überall abgetastet und untersucht.
Dann darf er sich einen blauen Anzug anziehen, mit einem Emblem, darunter ein Schild mit dem Namen Hans, und der Nummer: „14768“.
Auf der Rückseite: „Schueler G.“.
Soll das Göttingen heißen?

Der Raum ist kahl, es gibt ein Fenster, aber mit Milchglas, gibt es überhaupt ein Draußen?
Er fragt: „Wo bin ich?“
„Sie sind richtig, machen Sie sich keine Gedanken, Sie werden alles noch erfahren, aber zuerst müssen Sie begreifen, daß Sie nicht mehr Fragen dürfen! Sie dürfen nur reden, wenn Sie gefragt werden. Ansonsten gibt es Sprechzeiten, in denen Sie frei Reden dürfen, aber nur mit bestimmten Personen. Sie werden den richtigen Umgang bekommen.“

„Jetzt wird es Zeit, daß Sie weitergehen. Sind Sie müde oder hungrig?“
Eine Frau kommt herein, mit einem Kittel und einer Haube. „Wir wissen ja nichts über ihn, wir müssen noch eine Magenspiegelung machen, dann kann er in die Mensa gehen, es wird jemand kommen, ihn abzuholen.“
„Ok, hier entlang!“
Es vergeht noch gut eine Stunde, die Magenspiegelung ist eine sehr unangenehme Prozedur. Dann kam ein Knabe, von 16 Jahren. „Hallo, ich heiße Mike, ich bin schon in der Mission geboren, Du musst mir jetzt folgen, ich werde Dir zeigen wie alles in den ersten Tagen hier für Dich funktioniert.“

Nach dem er alles hinter sich hatte, ging es in die Mensa. Dort waren die Altersgruppen aufgeteilt, die Jugendlichen saßen links, die älteren rechts, Frauen und Männer getrennt. Keiner über 45.

Alle schauten kurz auf ihn. „Das ist Hans!“ „Haha, Hans im Glück!“, lachte einer, viele schmunzelten, einige interessierten sich gar nicht. „Ok, Neuzugang, setz Dich hierher, da ist in Zukunft Dein Platz!“ , sagte einer in lila Uniform, mit gelben Streifen.

Es schien Mittag zu sein, es wurde rasch gegessen, einer brachte ihm ein Tablett. „Ab morgen musst Du Dich ordentlich in den Ablauf einreihen, ok!“
Er, Hans, in Gedanken, etwas verträumt, sollte er sich nun freuen, was wird mit ihm geschehen? Wird es gut sein, oder schlecht, was auf ihn zukommt? Wird ihm sein neues Leben gefallen? Ihm fällt es noch schwer sich einzugewöhnen.
Nun, sind ja auch noch keine vier Stunden vergangen, nach dem Essen, muss er in die Küche, abwaschen. Alle Neuen müssen erst einmal ins Reinigungsteam, damit sie lernen, wie blöd es ist, wenn nicht jeder seinen Dreck selber weg macht, beziehungsweise erst gar keinen macht.
Danach kommen sie ins Hospitalteam, und müssen Kranke pflegen lernen, damit sie auf sich aufpassen und alle Hygienevorschriften lernen, außerdem müssen sie morgens und abends immer drei Stunden in die Schule, und mindestens für eine Stunde in den Sportunterricht.
Es gibt kein Pardon, weigert sich jemand oder macht er seine Arbeit schlecht kommt er in den Bunker. Immer wird davon gesprochen, pass auf, wenn Du etwas falsch machst, dann droht Dir der Bunker. Das ist kein Spaß, dort wird man 20 Stunden gequält und hat nur noch vier Stunden Schlaf, und auch der Schlaf kann einem entzogen werden.
Bunker, das ist hier die Hölle!
Nach ein paar Tagen, weiß er wo sein Bett ist im Schlafsaal, hat die Grundregeln alle gelernt, und auch einen Freund gefunden. Der heisst David und ist ein Jahr älter. Er ist nie alleine! Er wird nie ohne Aufsicht gelassen. Ein ständiges Programm.

Er findet sich schwer zurecht. Er kennt das nicht. Und er weiß auch nicht, warum er hier gelandet ist, und ob er je eine Chance hat hier heraus zu kommen.
Einmal fragt er David, sag mal, was passiert mit uns, ab 45. Dann ist das hier zu Ende? Was passiert mit den älteren Menschen?
David schaut ihn an, ganz erschüttert. Das frag lieber nicht, einige sagen, es gibt Gaskammern, alte Menschen will man nicht, andere sagen, Du kommst dann in den Himmel, oder in ein Dschungelcamp. Ich glaube es gibt sehr viele Visionen, Träume und Hoffnunge, am Besten denkst Du Dir etwas Eigenes aus, was Dir hilft, den Alltag hier zu überstehen.
„Ist es schlimm, oder gibt es auch Gutes?“
„Oh ja, nach einem Jahr bekommst Du das erste Mal Ferien, weisst Du das gehört zu den Menschenrechten, zwei Wochen Ferien pro Jahr, und Du darfst Dir sogar aussuchen, was Du machen möchtest.“
„Was gibt es denn zur Wahl?“ „Du kannst zum Beispiel eine Schlafkur machen!“ „David lacht!“ „Ich war in den Bergen, bei der Ernte helfen.“ „Das war wirklich toll!“
„Es gibt so Kataloge, wenn Du Dir Pluspunkte erarbeitet hast, dann darfst Du Dir einmal im Monat eine Stunde lang in der Bibliothek, die Kataloge ansehen!“
„Das ist der Superhit!“

-

Ein Jahr später. Inzwischen ist Hans informiert, was er in seinen ersten Ferien machen darf. Die Station liegt mitten im Grunewald in Berlin. Sie sind zirka 10 000 Versuchskaninchen, an denen hier neue Lebensformen für die Menschen von morgen ausprobiert werden. Aber das weiß er nicht, für ihn ist nun alles Realität und Alltag geworden. Was soll´s es ist ja auch nicht zu ändern, wenn man den Bunker vermeiden will. Einmal war er drei Tage dort unten. Zuerst kommt man in eine Schleuse, zirka 80 x 80 cm, zu dritt. Man ist aneinander gequetscht, ohne WC, ohne Licht. Es gibt scheinbar keine Öffnung. Am Besten hält man das aus, wenn man ganz still wird. Man muss die anderen zwei riechen können. Das ist sehr schwer. Es gibt wenig Luft, es scheint eine Ewigkeit, danach ist man froh über alles, was folgt. Zuerst werden sie angeschrien, sie sollen herauskommen und sich ausziehen, dann werden sie eiskalt abduscht mit einem knallharten Schlauch. Man muss sich die Hände vor die Augen halten, aber alles andere wird malträtiert, mit dem Wasserstrahl. Es ist schlimmer als Peitschenhiebe sein könnten.
Dannach dürfen sie sich auf einen Stuhl setzen mit den Rücken zueinander, es ist eiskalt, Scheinwerfer werden auf sie gerichtet. „Was haben Sie falsch gemacht!“ „Was glauben Sie, daß es uns Freude macht, Sie zu brechen, ihnen klar zu machen, was passiert, wenn sie nicht folgsam sind?“
„Folgsamkeit!“ „Ohne Folgsamkeit, geht es nicht in dieser Gemeinschaft. Es gibt kein aus der Reihe tanzen, haben Sie das verstanden?“
So geht das über eine Stunde lang, jedes Zeitgefühl geht verloren, dann müssen sie dreckige kratzige Kutten überwerfen, werden an Ketten gehängt, wie man es aus dem Mittelalter kennt, und Hans denkt sich nur noch: „Das ist jetzt aber ein ganz schlechter Film, und eine ganz beschissene Rolle!“
Aber keine Chance, ab sofort leben Sie ein Sklavenleben, sie müssen in den Abort und die Schiesse schaufeln, die stecken geblieben ist, oder irgendwelchen Unrat aus dem Urin- und Abortanlagen mit der bloßen Hand herausholen. Oft kommt es ihnen vor die Wärter hätten absichtlich besonders ekelige Sachen hineingeworfen. Sie stehen förmlich stundenlang in der Scheiße. Nach drei Tagen, kaum Schlaf, ist der Albtraum plötzlich vorbei. Sie dürfen aus dem Loch herauskriechen, werden wieder abgestrahlt mit dem kalten Wasserschlauch, aber dieses mal ist es eine Wonne, endlich sauber – Wasser – kein Gestank mehr!
Dann bekommen sie zu kleine bunte Jogginganzüge und wieder in eine Schleuse. Auch das ist auf einmal wohlig, warm. Sie umarmen sich - „Wir haben es geschafft! Wir kommen heraus!“
„Nie wieder wird uns das passieren!“
Später erfahren Sie, daß dies noch ohne Folter und die angenehmste Bunkerepisode war. Jede weitere wird immer noch schlimmer, also keine gute Idee, wieder in den Bunker zu müssen.
„Puh, die Hölle kann man also Stück für Stück kennenlernen, wenn man aufsässig ist!“

Hans hat jetzt Glück, nun hat er Pluspunkte gesammelt, und nun darf er sich seinen Urlaub aussuchen. Er wählt einen Badeurlaub am Grunewaldsee. Dort hat die Anstalt ein kleines Revier abgesteckt für Ihre Schützlinge. Es ist eingezäunt, und man sieht nicht wer sonst noch an dem See ist, aber es sind Spielgel, so daß man das Gefühl hat der Grunewaldsee ist rundherum, menschenleer, nur von Tieren bevölkert.
Zwei Wochen Ferien, aber auch in den Ferien gibt es Regeln, aber die sind fast harmlos. Man wird verwöhnt, wie in einer Jugendherberge, sogar T-Shirt und Jeans darf man tragen, und den ganzen Tag Baden und Schwimmen. In der Bibliothek gibt es die neuste Literatur der Welt. Sogar in verschiedenen Sprachen, man ist plötzlich auf dem Laufendem und bekommt mit, daß da Draußen die Welt ganz normal Ihren Lauf nimmt. Aber was bedeutet das eigentlich, was ist das für eine Geschichte, in die er da hineingerutscht ist, und warum?
Irgendwas ist faul an dem Ganzen, aber was? Was war der Auslöser, wie sind sie in diesen Warteraum gekommen, und warum?
Plötzlich gibt es eine Unmenge von Fragen. Und gar keine Antworten.





3. Der Phantast

Sie ist übrig geblieben, der 19 jährige Hans, war der Gewinner. Wie Hans im Glück, er durfte den einfachen Weg gehen. Er durfte durch die ganz normale Tür, in ein ganz normales Leben gehen. Dann hatte ihr Vater den nächsten 6 er, alle sagten er solle die Gittertür nehmen, denn er wäre zu alt für ein Abenteuer in der Wildnis.
Sie musste nun in den sauren Apfel beißen, oder hatte Sie am Ende das Beste los gewählt? Oft beißen den Letzten die Hunde heißt es, oder der Letzte wird der erste sein, ob sie sich je wieder sehen werden? Werden Sie miteinander chatten können? Werden sie sich aus den Augen verlieren, oder Kontakt behalten? Was wird sein?
Sie beginnt zu weinen. Nun muss jeder seinen eigenen Weg gehen, jetzt kann man nur noch wünschen, daß es jedem dabei gut gehen wird. Aber sie vermisst ihn schon jetzt, sie wird beide vermissen. Ihren Bruder, und ihren Vater!

Die beiden anderen waren schon verschwunden, hinter der normalen Türen und der Gittertür, die Verabschiedung war kurz und innig. Sie tritt zur Rampe, schaut ins Publikum und beginnt einen Monolog.
„Was würden Sie an meiner Stelle tun? Wir haben die Aufgabe jeder unseren eigenen Weg zu gehen, wir dürfen keine gemeinsamen Schritte mehr unternehmen, heisst es, aber eigentlich, warum? Weil es die Menschenrechte gibt? Weil der Staat Singelhaushalte bevorzugt? Weil jeder nur an sich selber denken soll, weil die Familie nicht mehr mitzureden hat? Weil die jüngeren Generationen nicht mehr stolz sind auf die Vergangenheit, auf die Leistungen der Alterer, der Eltern, der Vorfahren? Weil soviel Mist passiert ist, in der Vergangenheit? Aber wie sieht das heute aus?
Was passiert den heute? Es gibt schlimmere Kriege, totalitärere Staaten, schlimmere Lagerzustände als jeh, mehr Hungerskatastrophen, eben eine exlpodierende Bevölkerung, keiner hat mehr genügend Platz, für den kleinsten Besitz, nur noch für das Notwendigste. Überfüllte Kleiderschränke kommen auf den Müll, damit man weiterhin Kleider kauft, und diese dann wieder wegwirft, nach einiger Zeit. Essen wird in den Müll geworfen, und gefressen wird wie noch nie. Reich und Arm klaffen auseinander, wie noch nie, und dann haben wir noch die Angst vor Stürmen und Orkanen. Die Schulen werden geschlossen, wegen Unwetterwarnung. Die Kinder streiken Freitags und demonstrieren gegen den Klimawandel für mehr Vorsicht, im Umgang mit allem. Aber gemeinsam dürfen wir uns zwar in Zweck WG´s zwängen, aber echte Lebensgemeinschaften gibt es kaum noch. Alternative Lebensformen kämpfen und Raum und Anerkennung, lassen aber kaum jemanden hinein. Was tun?
Ok, machen wir das Spiel mit, entscheiden wir uns für einen Weg, aber ich bin die letzte ich habe keine Wahl, ich habe nicht die Qual, Angst vor dem Gefängnis zu haben, wenn ich durch diese Gittertür gehe, Angst vor Zucht und Ordnung, aber wenigstens ein Dach über dem Kopf, etwas zu Essen, und Anspruch auf das Recht, einen Anwalt zu haben, egal, was mir vorgeworfen wird.
Was werfen wir denn unseren Eltern eigentlich vor? Dass der Hollocoust nicht gut genug aufgearbeitet wurde? Dass wir am Ende eben doch nicht die Freiheit haben unseren Lebensweg selbst zu bestimmen?
Ich muss in die Forschung, mich schicken Sie in die Wüste, oder in den Dschungel, dabei bin ich gar nicht geimpft. Kein Schutz vor dem Gelbfieber, kein Schutz vor gar nichts. Ich muss das Wagnis eingehen, jeden Tag einen neuen Schlafplatz zu finden, und jeden Tag zu hoffen etwas zu Essen zu bekommen. Der Existenzkampf pur erwartet mich, daß ist sicher, wenn ich in diese Höhle schlüpfen muss. Was würden sie tun? Gar nichts? Einfach hier in diesem Warteraum bleiben? Einfach weiter warten, daß sich doch noch eine andere Tür auftut, daß es doch noch einen anderen Weg kommt, daß mein Vater, oder mein Bruder zurück kommt?
Ich könnte mich hinsetzen, ein Buch schreiben über die Vergangenheit, aber es wurde gesagt der Warteraum hier wird in 5 Minuten geschlossen, und ich?

…???“

Sie dreht sich um, zieht Ihre Schuhe aus, bückt sich und schlüpft in den Höhleneingang.


Erst sind die Steine nass, dann kalt, der Boden ist sandig und klebt ihr an den Händen.
Sie rutscht vorsichtig weiter, am Ende des Tunnels, sieht sie ein Licht flackern, und einige Frauen mit Kindern, an einem Lagerfeuer.
Als sie bei Ihnen anlangt, wir Sie skeptisch begutachtet.
„Wer bist Du? Wie heisst Du? Und woher kommst Du?““
„Ich heisse Annette, und ich komme aus München.“
Die Frauen sehen wie Zigeunerinnen aus, ziemlich bunt, und, und ziemlich fröhlich. „Darf ich mich zu Euch setzen?“
„Klar, hier nimm einen Tee, Essen ist gleich fertig.Wohin willst Du?“
„Das weiß ich nicht, ich hatte einmal Träume, aber jetzt mache ich einfach, was so jeden Tag auf mich zukommt. Ich versuche nicht mehr an die Vergangenheit zu denken, an meine Kinder, oder meine Familie. Ich habe diesen Weg eingeschlagen, nur weil es keinen anderen für mich gab. Jetzt bin ich da.“ „Du kannst eine Weile mit uns weiterziehen, aber nur, wenn Dich keiner unserer Männer ansieht. Sobald einer Dich zu lange ansieht, werden wir Dir die Augen auskratzen, und Dich weg schicken, wir wollen keine Unruhe, und keine Frauen, die Ärger bereiten, aber wenn Du kochen und arbeiten kannst, dann ist es gut, wir brauchen jede Hand.“

„Kannst Du singen? Zeig mal, was Du alles so kannst.“ Ein kleines Mädchen kommt herbei, und fragt: „Magst Du meine Mami sein, ich habe keine, mein Bruder und ich, wir sind Weisen.“
„Ok!“ Sie denkt, die Kinder sind lieb, ok, wenn ich mich um sie kümmere, dann sehen die anderen, daß ich etwas tue, und das ich eine nette Frau bin.“

Sie essen alle zusammen, lachen, dann beginnt einer Musik zu machen. Viele Emotionen liegen in der Luft. Eine gute Stimmung ist, die zwei Kinder lehnen sich bei Ihr an, der Bub ist eingeschlafen.
Dann kommt einen ältere Frau auf sie zu, nimmt sie mit, sie gehen hinaus ins Freie, es ist ein Wald, und auf einer Lichtung stehen so Bauwagen herum, und Wohnwagen. „Dahinten der Wagen ist frei, den kannst Du mit den Kindern beziehen.“
sie lächelt Annette nett an, pass aber auf, daß Du nie hübsch anzusehen bist, sonst gefällst Du unseren Männern. Das wollen wir nicht. Hier regieren die Frauen.

Annette nimmt die beiden Kinder, bringt sie in den Wagen und beginnt sich darin umzusehen. Es ist alles ziemlich schmutzig und verdreckt, in einer Ecke hört sie Mäuse, ins Spülbecken hat einer gekotzt. Die Kotze ist aber schon angetrocknet. Es ist alles ziemlich widerlich, aber besser als in der Höhle. Decken gibt es, und ein Bett. Sie lüftet, steckt die Kinder ins Bett, und beginnt sauber zu machen.
Sie fühlt sich müde, aber glücklich nicht alleine zu sein, und wenigstens etwa zu tun zu haben. Mami sein, ist immer schön.

Mal sehen, wie das hier alles geht. Am nächsten Tag ist in der Früh schon viel los. Das Lager wird abgebrochen, alles sind im Reisefieber.
Es sit ein großer Wald, wie sich herausstellt. Ihr Wagen wurde an einen anderen angehängt. Sie wird sozusagen ins Schlepptau genommen. Sie drüfen vorne mitfahren, die Kinder haben Platz auf dem Bett in er Fahrerkabine.
„Ich bin der Onkel von den Beiden, man nennt mich Wolfi, ich freue mich, wenn Sie in Dir eine neue Mami gefunden haben. Aber Du musst sehr aufpassen, die Frauen hier können sehr rabiat werden.“ „Wir fahren jetzt in die Nähe eines Bergwerkes, dort gibt es um diese Jahreszeit immer Arbeit. Wir sind 30 Männer und 40 Frauen, mit 75 Kindern. Es sind einige Großmütter darunter. Die sind besonders spitz, und schnell bei der Klinge. Es ist kein Zuckerschlecken hier bei uns. Wenn wir in die Stadt kommen, ist es besser Du suchst Dir Arbeit, und nimmst die Kinder mit, für uns sind sie nur eine Last. Wir wollen auch eher weniger werden, als noch jemanden dabei zu haben. Sie haben Dich nur aufgenommen, weil wir immer aus Prinzip zu jedem Fremden gastfreundschaftlich sind. Das hält aber höchsten für 2 Wochen an, dann musst Du sehen, dass Du Deine Platz gefunden hast, oder weiter kommst.“

Eine Weile spricht keiner.

„Mir gefällst Du, aber ich werde kein nettes Wort zu Dir sagen, ich habe zwei Freundinnen, die keilen und buhlen, um mich wie verrückt, wer wann mit mir sein darf. Du hast nur jetzt ein paar stunden, während dieser Fahrt das Glück, bei mir sein zu dürfen, aber später muss ich behaupten, Du bist langweilig und einsilbig, ok. Hast Du verstanden?“

Sie denkt an einen Film, eines berühmten italienischen Regisseurs, den sie einmal gesehen hat.
Wie ein Landstreicher eine dumme Frau aufnimmt, und die beiden dann als Clowns über das Land ziehen. Sie hat Lust zu schreiben. Das ist immer ihre Flucht, die Reise in das Land der Phantasie, damit die Realität leichter zu ertragen ist.
Die Kinder beginnen zu singen. Sie haben eine fröhliche Natur. Die Sonne kommt langsam heraus, und manchmal kommen Felder.
Auch Autos und Busse beleben nun die Straße. Ihr Zug ist lang. Es sind sicher 15 Wohnwagen, und einige Autos, drei LKW´s, mit je zwei Anhängern. Sie kommt sich vor wie beim Zirkus, aber es ist eine Arbeiterkolonne aus Zigeunern.
Die meisten sprechen dieselbe Sprachen, machen auch drei oder vier.

Am späten Nachmittag kommen sie auf einem großen Parkplatz direkt an einem Steinbruch an, einige Fabrikhallen und Lagerstätten, sowie Transporter und Containerwohnungen sind dort. „Tomorrowland“, steht auf einem Plakat, dahinter eine Kioskbude, ein Supermarkt und ein Diskothek.
Jeder bekommt einen Stehplatz zugewiesen, einen Stromanschluss und Wasserleitungen werden verlegt zwischen den Wohnwagen. Manche haben fließend Wasser und sogar Duschen in Ihren Wohnwagen. Einer hat den Superluxuswohnwagen! Die Frau, die dort herrscht heisst Erika. Ihre Kinder sind eitel und gemein. Ihr Mann kommt fasst wie ein Guru daher.
„Hey, Annette, Du musst Dich jetzt nützlich machen, sonst sind Deine Tage bei uns gezählt, kannst Du gut schreiben, ich brauche jemanden, der die ganzen Anmeldeformalitäten mit mir zusammen erledigt. Komm mal mit.
Sie geht mit Ihm zu den Container, in eine Office der Tomorrowland Steinbruch AG.
„Ja, ich kann das.“
„Ok, setz Dich da hin, es kann schon los gehen, hier sind die ganzen Ausweise. Wo ist eigentlich Deiner, hast Du überhaupt einen?“

Sie ist froh, ja sie hat eine kleine Tasche, da ist etwas drinnen, etwas Geld, eine Uhr, ihr Handy, und auch ein paar Fotos, von Ihren Kindern, von der Familie, von ihrem Bruder, und ihrem Vater. Auch eines von Ihrem Mann, den hat sie sicher seit Weihnachten nicht mehr gesehen.
Ihr kommt es vor, wie eine Vergangenheit, die völlig irreal ist. Hier, nun sich plötzlich am Rande einer Großstadt wiederfindend, in slumähnlichen Verhältnissen. Das ist hart. Zwei Kinder an der Seite, die sie kaum kennt, und ihre weit weg.
Was wäre gewesen, wenn Sie hätte durch die normale Tür gehen können, in ein normales Leben. Wie schaut ein normales Leben heute auf dieser Welt aus.
Sie fragt sich das, hat aber keine Antwort, denkt daran was sie alles über den Kongo weiß, über China und über den Krieg in Syrien.
Viele Bilder hat sie im Kopf, von zerquetschen Autos, umgeknickten Bäumen, von Kinderleichen, Krüppeln, von Auffanglagern an den Grenzen, von Flüchtlingskolonnen. Dann wieder im Gegenzug dazu die Malediven, Traumstrände, schöne Villen, Luxushotels und schönen Ausflugsorten. Teure Restaurants, schicke Läden, schöne Städte, gebohnerte U-Bahnen, und Luxuseinkaufsmeilen.

Plötzlich wird ihr schwindelig, ...sie kippt um.
-

Ein Jahr später!
Was ist passiert? Sie ist in einem Krankenhaus aufgewacht, Sie ist in Berlin, Mitten in der Stadt. Der Chefarzt aus der Klinik in Lüneburg, in welche sie zuerst eingeliefert wurde, nachdem sie in das Koma gefallen war, hatte gemeint, sie müsse nach Berlin Spandau gebracht werden, auf die Intensivstation, dort gäbe es die einzigen Fachärzte, die so ein Black Out kennen, und die ihr helfen konnten. Die zwei Kinder wurden von der Fürsorge übernommen, weil die Zigeuner behaupten, sie hätte sie schon mitgebracht. Die Kinder schwiegen und besuchten Sie einmal in der Woche im Krankenhaus, mit einer Begleitung von der Jugendwohlfahrt. Sie nannten sie Mami, ansonsten besuchten sie noch zwei junge Missionarin, und eine Pfarrer aus der Gemeinde Spandau. Lange konnte sie sich kaum bewegen, noch konnte sie sprechen. Alles um sie herum wurde irgendwie geregelt. Aber wie, wer tat was, und warum? Es hieß Ihr Vater hätte Ihr ein kleines Vermögen hinterlassen, mehr wusste sie im Moment aber nicht. Einer der Ärzte, aus Indien kommen, war besonders aufmerksam zu ihr.
Heute wurde ihr Geburtstag gefeiert, es war der 14. Februar 2080. Sie konnte sich aber leider an gar nichts erinnern. Nur die Kinder begannen zu erzählen, von dem Leben bei dem Zigeunern, und in den Slums. Sie würden fast ganz Europa kennen, die Grenzen sind überall offen, wenn man einen europäischen Pass hat, den hatten sie Gott sei Dank, obwohl sie ziemlich schwarz waren. Woher sie wohl wirklich kommen, und warum die Zigeuner sie aufgenommen hat? Jedenfalls erzählten sie ihr viel, und sie hörte gut zu. Sie las auch Zeitung. Alles, was es aktuelles gab wußte sie, alles was vorher war, war wie ausradiert, aber scheinbar war sie am 14.2.2038 in Berlin geborgen. Im Tiergarten aufgewachsen, dort zur Schule gegangen. Hatte in einem Chor mit gesunden, dem Lärchenchor. Sie war oft Solosängerin und liebte die Auftritte berichtete ihr eines Tages Frau Peuker, ihr damalige Klassenlehrerin. Sie hatte sie zufällig getroffen, hier im Krankenhaus, im Garten, weil diese alte Lehrerin jeden Tag Besuch bekam, von ganz vielen Kindern, und so waren sie ins Gespräch gekommen.
Und so erfuhr sie ein paar Brocken aus Ihrer Vergangenheit. Aber wie würde nun ihre Zukunft aussehen? Langsam begann sie mit der Physiotherapie, und langsam konnte sie sich wieder bewegen.

Sie wendet sich und windet sich in ihrem Krankenhausbett, manchmal geht sie zu Fenster. Eine ganze Szene lang spielt sie die Langeweile des Krankenaufenthaltes durch.
Es sind abstrakte Momente, irreale Szenen.





-Pause-



Vorhang

Der Vorhang ist im normalen Theater rot gehalten.
Es könnte ein Samtvorhang mit vielen Falten sein.
10 Jahre später, erscheint auf dem Vorhang zu lesen.
Der Vorhang geht hoch.

Die Drehbühne hat sich verwandelt in 3 Räume aus Berlin. Zum einen sieht man dem Alexanderplatz von 1950. Im nächsten den Grunewaldsee au s dem Jahr 1060, und im dritten Segment den Hansa Platz von 1970.
Die Bühne dreht sich langsam, es sind keine Schauspieler auf der Bühne. Dann fällt ein leichter Schleier über alles. Und aus dem Zuschauerraum kommen die drei Hauptdarsteller, alle um 10 Jahre gealtert.

Boris, jetzt 90ig Jahre alt.
Hans, nun 30ig Jahre alt.
Annette, mit 50ig Jahren.

Boris trägt einen blauen Anzug, und sieht aus, wie ein Banker.
Hans, hat sich in einen echten Künstler verwandelt, trägt eine Baskenmütze und ansonsten alles in schwarz.
Annette trägt ein Blümchenkleid und versucht sich jugendlich zu bewegen, hat ganz lange Haare auf einmal, trägt diese zu einem Pferdeschwanz.

Sie gehen aneinandergeschmiegt, von der Seit auf die Bühne, zum Erzähler.
Dieser kann ein Mann, oder eine Frau sein. Sie setzen sich auf drei Stühle, die in der Mitte der Rampe mit dem Rücken zum Publikum aufgestellt sind. Der Erzähler geht um sie herum, und beginnt zu reden.
„Ja, was ist eigentlich passiert?“

„Also, wie kam es zu dieser Situation in dem Warteraum, und wie haben sie sich wiedergefunden? Und warum diese eigenartigen Erlebnisse und Lebenswege?“

Da hebt sich der Schleier, und Annette geht in ihr Bild, dem Hansa Platz der 60iger Jahre des letzten Jahrhunderts. Es sieht alles aus, wie eine echte Museumskulisse.
„Am Liebsten würde ich sie alle einladen, sich einmal diesen Platz anzusehen. Das ist der Ort meiner Kindheit, aber was dann alles passiert ist in meinem Leben, daß hat mich weit von diesem Ort entfernt. Und warum? Und warum sind mein Bruder und mein Vater die wichtigsten Menschen in meinem Leben geworden? Ich habe darauf bis heute keine Antworten. Ich weiß nur eines, der Mensch denkt, er denkt er hätte Rechte und Freiheiten, aber dann kommt immer alles ganz anders.
Alles entwickelt sich völlig anders, als geplant, gedacht und auch erträumt. Ich zum Beispiel wollte zum Theater, dann habe ich geheiratet, Kinder bekommen, wollte Pferde züchten, aber statt dessen wurde ich in den Kongo geschickt und kam mit zwei Adoptivkinder zurück, ich habe oft Wissenslücken. Ich habe ein Problem mit den grauen Zellen, manchmal kippe ich einfach um, dan liege ich Monate lang in einem Krankenhaus, oder ich lande im Irgendwo, und muss warten., warten, aber auf was? Ich weiss es nicht. Ich mag Musik, ich möchte auch wer sein, aber statt dessen passieren immer Pannen. Meine Träume sind etwas verrückt, meine Begegnungen auch. Und die Welt, die ändert sich mit einem gewaltigen Tempo. Auf einmal sind wir in der Zukunft. Ich wollte für die Menschenrechte kämpfen, stattdessen, wurde ich ausgebeutet. Ich hatte keinen Raum mehr für mein Hab- und Gut. Wenn ich etwas gekauft habe, oder mir Leisten konnte, dann konnte ich sicher sein, es würde keinen Platz geben, wo ich leben könnte, wo ich meine Sachen aufbewahren konnte. Das Recht auf Besitz ist ja recht schön, wenn man keinen Platz hat, zum Sein, auf dieser Erde. Mein Schatz hat keinen Platz, er hat sich minimiert, mit allem, was er hat, für mich ist dort kein Platz. Mein Bruder hat kein Platz zum Leben, die Menschen um mich herum stöhnen alle, wegen hohen Mieten, oder weil sie weder eine Arbeit, noch einen Raum zum leben finden.“
….sie wandelt so über die Bühne und redet vor sich hin. Meine Beste Freundin ist ausgestiegen. Sie mag nichts mehr mit diesem System zu tun haben. In China herrscht ein Virus, der die Grenzen total dicht macht. Plötzlich darf keiner mehr hinaus, und auch keiner mehr hinein.
Ist das Absicht?
Schon seit 50ig Jahren weiß keiner mehr, was dort passiert. Wir hier in Europa machen Experimente um es uns vorstellen zu können. Die Berichte aus Syrien, die Foltermethoden, die Bekannt sind, die werden an jungen Leuten ausprobiert, um zu sehen, ob sie sich brechen lassen, ob eine Gruppe von Menschen total Folgsam leben kann. In einem anderen Experiment werden alle Menschen ab 45 einfach zu Haftstrafen verurteilt. Das macht der Staat, um die Kosten für die Altersheim zu verringern, die Gefängnisse sind alle völlig digitalisiert und werden von Robotern gemanagt. Es gibt gar kein Personal mehr. Alles ist ganz effizient und billig.“
Hans springt auf! Er wendet sich an das Publikum: „Ja, ist das nicht der völlige Wahnsinn, erst musst Du Jahre lang folgsam sein, und dann wirst Du in ein Gefängnis abgeschoben um all Deine Sünden und Missetaten abzubüßen.“

Boris redet dazwischen: „Irgendwie hat es aber auch jeder verdient, den bis man 45 Jahre alt wir, hat man auch viel Mist gemacht. Du kannst Dir ja gar nicht vorstellen, was manchen Leute alles auf dem Kerbholz haben.“ Er lacht, „und dann wenn Du im Gefängnis landest, dann lernst Du erst richtig Dir etwas auf die Seite zu schaffen, andere Leute zu bestehlen. Hehler, Betrüger und Dieb zu werden, wenn Du überleben willst. Ich sage Dir, es gibt nicht viele gute Menschen unter uns, oder glaubt ihr am Ende noch an das Gut?“
Er dreht sich zu Publikum und beginnt zu schimpfen: „Ist irgendjemand hier im Saal, der nichts auf dem Kerbholz hat? Gibt es jemanden, der aufstehen kann, und der dann behaupten kann, er habe alles in seinem Leben richtig gemacht, und genau das Leben gelebt, welches er wollte? Oder einfach ein ganz normales Leben? Was ist denn eigentlich ein ganz normales Leben? Mitmachen? das Essen, zu den Preisen, was wir im Supermarkt kaufen können? Immer zu allem ja sagen, was uns vorgegeben wird? Es gibt ja kaum mehr eine Streikkultur. Die letzten großen Streiks in Paris, von den Gelben Westen, und die der Eisenbahnergewerkschaften, sind alle zerschlagen worden. Keine Chance auf Sonderrechte, auch die Franzosen müssen sich anpassen, können nicht mehr früher in Rente gehen, oder andere Privilegien genießen. Tatsache ist, daß es nicht leichter geworden ist, in den letzten 50ig Jahren, daß es eigentlich gar keine Menschenrechte mehr gibt, und daß wir es sehr schwer haben uns noch ein freies Leben vorstellen zu können.“
„Wie sagt man so schön, wenn es beim Nachbarn brennt, brennt, dann brennt es auch bald bei Dir. So wachsam hätten wir uns die Probleme der Chinesen vor 50ig Jahren ansehen müssen, denn all diese Themen sind jetzt brandaktuell hier in Europa.“
„Stimmt, ich zeig Euch einmal wie es vor 120 Jahren in Berlin am Grunewaldsee zugegangen ist. Oh da hatten alle noch Hoffnungen, sind nackt ins Wasser gesprungen, dachten das sie einmal in dem Job landen werden, den sie studiert haben, und ihre Kinder antiautoritär großziehen können.“
„Antiautoritäte Kindererziehung! Das sind historische Erinnerungen, davon ist gar nichts mehr übrig geblieben.“
„Ja, die Studentenrevolution der 69iger, die sind alle verschollen, diese Studenten von damals, in den Mühlen des Alltags.“

Nun kommen alle weiteren Darsteller auf die Bühne, inzwischen sind wir auf der Drehbühnenseite des Alexanderplatzes angekommen.
Alle Darsteller haben Gelbe Westen an.
„Die Französische Revolution soll niemals vergessen werden, auch nicht der Kommunismus und all seine guten Idee, wir wollen nicht die Macht der Reichen, wir wollen mitbestimmen können, mitreden. Niemand darf uns untätig nennen.“
Einige Kinder sind besonders laut, sie stürmen über den Platz, sie klettern an den Wänden hoch, sie protestieren lautstark. „Erinnert Euch an Greta!“
„Kinder an die Macht!“

So geht das sich er 10 Minuten, alles endet dann in einem großen elektronischem Musikzauber. Bilder von der Loveparade werden gezeigt, vom Fall der Mauer. Aus der DDR, aus dem Nationalsozialismus und vieles mehr. Ein Abriss durch die Geschichte.
Der Erzähler: „Damit keiner vergisst, was eigentlich so alles passiert ist, und warum!“

….
die Bühne dreht sich, alle ziehen ihre Kleider aus… nacktbaden ist angesagt,...alle Schauspieler springen in den Grunewaldsee und haben Spaß.
Musik ertönt…


- kurze Pause -

Wollen Sie Eis, auch hier im Theater können Sie Eiskreme alle Art bekommen…
Durch die Reihen gehen Eisverkäuferinnen, in den Kostümen von Langnese der 50iger Jahre. Es sollen viele Leute Eis kaufen…. Es wird freundlich dafür geworben.

-Pausenende -

….auf der Bühne eine abstrakte Welt des Irrsinns. Großstadt und Metropolen Wahnsinn. Viel Lärm, viel Geräuschkulisse. „Viel Lärm um nichts?“ Der Erzähler kommt wieder ins Rampenlicht.


Inzwischen befinden wir uns im Jahr 2090. Es sind wieder 10 Jahre vergangen. Boris lebt immer noch, Annette ist inzwischen Rentnerin geworden, und Hans, Vater. Er hat zwei Söhne und er hat eine nette junge Frau an seiner Seite. Sie sitzen alle zusammen auf einer Bank vor einem Sandkasten, die zwei Kinder bauen Sandburgen.

„Erstaunlich, daß es immer noch Sandkästen gibt!“ „Die gibt es nur, weil Hunde verboten wurden. Haustiere kann sich kein Mensch mehr leisten, und der Hund als Begleiter ist nicht mehr vertretbar geworden, seit das Fleisch essen auf wöchentliche Ration von 50g pro Person beschränkt wurde.
Überhaupt essen nur noch wenige Menschen Fleisch. Genauso, wie die Modeindustrie komplett eingegangen ist, weil kein Geld für Kleidung mehr da ist. Fast 80ig Prozent eines Haushaltseinkommens gehen für die Mieten drauf, und das ist auch noch normal, manchmal geht ein Einkommen komplett fürs Wohnen drauf. Wenn man keinen Lebenspartner hat, muss man in einem Hostel wohnen, dann besitzt man nur noch, was in einen Koffer passt.“

„Werde nicht so nachdenklich, trotzdem träumen Menschen noch, sie heiraten viel mehr, sie bekommen alle ein Kind, und sie leben oft mit den Eltern noch zusammen.“
„Ich glaub mich tritt ein Pferd!“ Hans springt auf und lacht, schaut einmal, was diese Rabauken mit dem Sand gemacht haben, die haben sich einen Hund aus Sand modelliert.“

„Alle Kinder wünschen sich einen Hund! Hast Du Dir als Kind nicht auch einen gewünscht?“
„Ich schon, ...aber die Welt hat sich verändert. Jetzt sieht alles anders aus. Man sieht auf den Straßen keine Hunde mehr. Nur Jagdhunde sind erlaubt.“

Der Erzähler: „Und hier sehen Sie nun eine glückliche Familie, wieder vereint! Und die Moral von der Geschicht? Ich kann es Ihnen nicht sagen, daß müssen Sie selber herausfinden. Tatsache ist, daß sich die Welt verändert und wir eigentlich nicht wissen, wohin, wir können auch kaum selber mehr Entscheidungen treffen, wie wir unser Leben leben möchte. Ob es richtig ist, was wir tun, und wie wir es tun, auch nicht, warum wir es tun. Jedenfalls wäre es gut, wenn man nicht mitschwimmt mit der Masse, denke ich. Wenn wir nicht aufhören uns Gedanken zu machen, um unsere Mitmenschen, und unsere Nachbarn. Wenn wir über unseren Tellerrand hinaussehen, und wenn wir uns genau fragen, warum wir hier und jetzt, im Heute, nicht Dinge auch anders betrachten können. Jedenfalls haben wir gar keine Möglichkeit mit geschlossenen Augen durch die Weltgeschichte zu gehen, sondern wir müssen hinhören, hinschauen, mitdenken, nachdenken und uns genau überlegen, was wir akzeptieren können, und was nicht.“
„Ein Großstadttraum kann auch ein echter Albtraum werden, stimmt´s Papa.
“Kommt der kleine Johannes zu seinem Vater gelaufen, seine Mutter lächelt beide an.
„Ja, und das Glück kommt selten allein!“, lacht sie. Man sieht wie glücklich diese junge Familie ist. Annette schaut ihren Vater an: „ Und Du schaffst es tatsächlich noch 110 zu werden, als alter Thai Chi Meister.“
Der Erzähler: „So happy End?“

Annette steht auf, und kippt plötzlich um. Sie ist tot.


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